Ein alter Tatsachenbericht den ich vor zwei Jahren veröffentlicht habe
Letzte Nacht im Krankenhaus:
Letzte Nacht glaubte ich, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Ich war total beschwipst und wollte unbedingt auf einem Faschingszug tanzen. Den letzten Alkohol habe ich allerdings an Silvester getrunken, und das in so geringen Mengen. dass man die Spurenelemente am Glas herunter laufen sehen konnte. Ich hatte einen richtigen Tunnelblick und konnte keinen Schritt geradeaus laufen. Nach spätestens 3 Metern musste ich in die Horizontale. Ich hörte komische Geräusche und fremde Stimmen und bekam keine Luft.
Als ich im Bad den Wasserhahn aufdrehte, sprach er mit mir. Er erzählte mir, dass er tags drauf mit seiner Freundin schwimmen gehen will. Ich habe sofort das Bad verlassen und mich unter dem Bett versteckt.
Jetzt wusste ich, der Tiefpunkt ist erreicht. Wenn ich den Morgen überlebe, bin ich dem schwarzen Gesell mal wider von der Hippe gesprungen.
Nein, das spielte sich nicht in einer Psychiatrie ab, sondern in einem ganz normalen Kreiskrankenhaus auf der internistischen Station.
Heute geht es mir schon wieder etwas besser und ich habe eine Expedition durch den nächtlichen Krankenhausdschungel gemacht.
Tief im Keller war eine Station, die nannte sich Paddologie oder so. Ich glaub, da werden ganz schwere Defekte behandelt. Die Patienten riefen durch die Tür fürchterliches Zeug.
Mir ist so kalt!
Ich seh das weiße Licht!
Waffen hoch, die Würmer kommen!
Du bist so cool, Baby!
und ähnliches.
Meine Güte, dachte ich, das ist ja schlimmer als auf der Gyn. und ergriff spornstreichs das Hasenpanier.
Besoffen fühle ich mich noch immer.
Stunden später:
Eben habe ich mich mit meinem Wasserhahn zur Sauna verabredet.
Noch später:
Mein Wasserhahn spricht nicht mehr mit mir. Der Arzt meint, das sei ein gutes Zeichen, trotzdem werde ich ihn vermissen. Endlich mal einen Gesprächspartner auf Augenhöhe.
Ich bin voller blauer Flecke, weil die überall in mich rein stechen um Blut raus zu holen oder irgendwelche Chemikalien in meinen Körper zu applizieren. Wenn ich was trinke, spritzte es da überall wieder raus.
Letzte Nacht sind gleich zwei Patienten gestorben. Nach Stunden sind die Zimmer wieder belegt. Die meisten Patienten kriegen das gar nicht mit. Nun ja sie waren sehr alt und hinfällig. Der Tod war eine Erlösung. Ich habe zu viele junge Leute sterben sehen. Das hinterlässt Narben auf der Seele.
Die Leute wissen gar nicht mehr, wie man richtig stirbt. Die gehen wohl nicht ins Kino. Ich habe beschlossen, öfters ein bisschen zu üben: Nimm meine Hand Liebste.Ich werde dich ewig lieben und such dir einen guten neuen Mann (ich weiß natürlich nicht, dass sie den längst hat) Ade Kopfbeiseitefällttief ausatmen Ruhe..
Es ist Nacht, still ruhen Patienten und Klinik. Sogar die Armen im Geiste, erholen sich von Wasauchimmer. Ich habe Flure und Fahrstühle fast für mich allein. Nur einige unentwegte Raucher hasten humpelnd oder in Rollstühlen, dick in Anoraks eingepackt dem Haupteingang entgegen, um sich draußen gierig einige Züge Nikotin zu gönnen. Am Tag wird dann die kranke Lunge mit Inhalationen behandelt. Da kann mans auch lassen.
Nachmittags ist hier, verschärft am Wochenende, die Hölle los.
Invasion der Erbschleicher!!
Schon von weitem sieht man Autoschlangen und ganze Pulks von Fußgängern mit Taschen voller Blumen, Süßkram, Säften, oder halalen Mahlzeiten den Berg hoch schnaufen. Als kranker Mensch kann man sich da nur noch vor Angst bibbernd ins Bett verkriechen. Diese Leute mit den wichtigen, sorgenvollen Gesichtern und den Händen voller Blumensträußen, Diätpralinen, Hohes C oder Rotbäckchen, kennen keine Gnade auf dem Weg zu ihren Erbonkels und Tanten. Langsame Patenten werden gnadenlos an die Seite gedrängt. Selbst auf den Fluren besetzen sie alle Bänke und die Patienten stehen hustend daneben. Im Zimmer setzen sie sich auf fremde Betten. Fahrstuhlfahren unmöglich, und das bei 7 Stockwerken. Rollstuhl- oder Rollatorfahrer müssen im Zimmer bleiben. In der Cafeteria drängen sie sich mit wichtigtuerischer Miene vor. In Ecken und auf den Fluren geben sie dann mit dem Handy Meldung nach Hause. Keine Ahnung warum sie dabei so laut ins Smartphone schreien müssen. dass sie in der gesamten Klinik gehört werden. "Nein, der liebe alte Onkel. Ein bisschen tütelig ist er ja schon, aber lei… äh...erstaunlich fit. Er hat wohl ein starkes Herz. Ja, er soll bald wieder entlassen werden. Das mit dem neuen Auto müssen wir dann wohl verschieben".
So ab 17:30 Uhr geht der Spuk dann langsam zu Ende ,und die Schwestern können sich vor angebotenen Süßigkeiten nicht mehr retten.
Ich glaub, ich schleich mich jetzt unter die Dusche. Da ist ein Hocker und eine Klingel für Notfälle. An die komm ich noch dran, wenn ich ohnmächtig werde.
Ich habe Angst, dass ich morgens aufwache und feststelle, dass ich tot bin. Deswegen schlafe ich so ungern ein.
Anatolische Impressionen
Mein Mitpatient ist ein älterer türkischer Herr . Er lebt seit 1972 in Deutschland und hat schwer im Straßenbau gearbeitet. Dort hat er offenbar auch die deutsche Sprache erlernt.
Vokabular: hervorragend
Aussprache: grausig
Grammatik: nicht vorhanden
Dabei kann er reden wie ein Buch. Leider versteht man nur die Hälfte. Er und seine reichhaltige Sippe sind sehr nett und gehören sicher nicht zu den Integrationsverweigerern.
Er redet sehr ausgiebig im Schlaf. Leider nur auf türkisch. Was könnte ich euch sonst für exotische Geheimnisse aus türkischen Ehebetten mitteilen.
Als junger Mann in Anatolien hat er in den Sechziger Jahren als Laie kranke Kühe behandelt. Er sagt, er hätte das nie gelernt. Tierärzte gab es in den kleinen anatolischen Dörfern nicht, und eine Kuh war oft der wertvollste Besitz.
Als eine Kuh völlig aufgebläht war, hat er ihr mit einem langen Messer in die Seite gestochen. Es entleerten sich stinkige Gase bis das Tier wieder Normalmaß hatte. Dann hat er die Wunde wieder zugenäht. Nach ein paar Stunden fing sie wieder an zu fressen. Ich glaube, Tierärzte machen das heute noch. Einer anderen Kuh schwoll der Hals immer mehr an. Er schnitt ihn einfach auf und fand eine schwarze Substanz oder Gewebe vor. Er entfernte es und nähte alles wieder zu. Auch das Tier überlebte. Für einen Kleinbauern ist so ein Rindvieh oft der wichtigste Besitz. Eine Kuh die eingeht und nicht geschächtet werden kann, fällt als Nahrung und Milchlieferant aus und kann den Ruin bedeuten. Da ist ein laienhafter Eingriff besser als gar keiner.
Bei wem gibt es heute Mittag Rinderbraten?
Es ist eine Tragödie. Nachts wird die Stationstür abgeschlossen. Ich kann meinen Beobachtungsposten nicht beziehen, um das nächtliche Verhalten von Homo sapiens in Extremsituationen zu beobachten.
Auch Konrad Lorenz scheiterte zuweilen und trotzdem war ihm der Nobelpreis hold.
Mein türkischer Bettnachbar ist stark rekonvaleszent und zeigt fast Normverhalten. Erwähnenswert ist allenfalls das bei Besserung des Krankheitsverlaufs zunehmend auftretende transalpine Syndrom, auch als Morbus mediterrane bekannt. Je mehr sich sein gesundheitlicher Zustand bessert, desto kranker fühlt er sich. Er ist durchaus professionell darin, es seinen Mitmenschen klar zu machen. Als wissenschaftlicher Beobachter bin ich natürlich immun dagegen. Also fast. Ach, der arme Kerl. Heute Mittag habe ich ihn ins Schwesternzimmer geschickt, sich ein Placebo zu holen. Lass dir eine blaue geben, habe ich gesagt, die machen munter. Die grünen sind für die Nacht.
Gestern waren bei seinem Besuch zwei Enkel im Grundschulalter. Ich war fast erschrocken, wie schnell Integration klappen kann. Die Kleinen konnten kaum ein Wort türkisch. Ein bisschen was von zwei Kulturen in der Seele ist sicher gut für die Persönlichkeitsentwicklung.
Am meisten auf Immigranten schimpfen hier in Deutschland die russischen Einwanderer. Logisches Denken kann die Problemanalyse stark behindern.
Tipps für angehende Notfallpatienten
Als ich vor ca. 4 Wochen die Klinik verließ, war das wohl etwas zu früh. Gestern hatte mein Hausarzt die Schnauze voll, und statt mich wieder nach Hause zu schicken, landete ich im Rettungswagen. Zum Glück diesmal ohne Tatütata. Ich dachte, so langsam müsste ich inzwischen die Rettungssanitäter der Region alle kennen, aber es sind immer wieder andere. Sie kommen im Dreierteam, sind sehr freundlich und interessieren sich für meinen gesundheitlichen Zustand. Der Chef ist meist ein etwas beranzter Herr, der eher ruhig ist und sich im Hintergrund hält, aber vielleicht ist es auch einfach nur der Fahrer? Danach kommt ein etwas jüngerer Herr, seltener eine Dame, die alles regeln. Der dritte ist meist ein junger Azubi, oft inzwischen weiblich, die auch einen sehr kompetenten Eindruck machen. Sie werden wohl nicht gleich am Beginn ihrer Ausbildung auf Patienten los gelassen. Natürlich machen die Azubis die ganze Arbeit am Patienten. Inzwischen wird man meistens an einen modernen Monitor angehängt der EKG, Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung misst. Man wird oben, unten und in der Mitte auf der Trage angeschnallt und los gehts. Der/die Azubis sitzt neben dem Patenten und passt auf. Der Wagen ist weich gefedert und schaukelt hin und her.
Ich fahre gern im Rettungswagen. Man ist immer im Mittelpunkt. So stelle ich mir die Kindheit von Einzelkindern vor.
Die Notaufnahme im Krankenhaus ist kliniksspezifisch. Im Prinzip wird eine Anamnese (Krankengeschichte) erstellt, es gibt eine körperliche Untersuchung und eine Blutentnahme, bei Bedarf Sono, Röntgen u.a. Nichtsdestotrotz dauert das ganze meist sehr sehr lange. Diesmal ging es von 10:30 bis 17:45. Meist liegt man dabei allein einem Raum auf einer Liege und wartet und wartet. Es gibt nur selten Medikamente und was zu essen gibts auch nicht. Trinken ist Glückssache. Da man oft nüchtern zum Hausarzt kommt, kann es sein dass man den ganzen Tag nüchtern bleibt. Wenn man endlich auch Station kommt, ist man kranker als vorher. Ich hatte Glück und kam gerade richtig zum Abendessen auf Station. Für Notfälle habe ich als erfahrener Notfallpatient immer Zwieback und Traubenzucker dabei.
Zwar kenne ich inzwischen auch die, manchmal versteckten, Standplätze der Süßigkeiten und Sandwichautomaten, aber wenn man an einer Infusion hängt, ist das keine Option.
Wenn die erste Nacht überstanden ist, weicht die erste Wirrnis, und man kann sich den Überlebensstrategien im lebensfeindlichen Klinikbiotop widmen.
Ich versichere ihnen, dass das alles genau so passiert ist. Ich habe lediglich einige kleinere literarische Verfeinerungen vorgenommen.
Der Autor