Aischa
Unter den Krankenpflegeschülerinnen war ich allgemein recht beliebt. Es machte mir schon immer Spaß, mein Wissen weiter zu geben und gut erklären kann ich wohl auch. So hatte ich oft beim Arbeiten ein oder auch mehrere junge Mädels im Schlepp.
Eines Tages ging ich über den Krankenhausflur, als ich in der Nähe ein ziemliches lautes Getuschel hörte, das vermutlich leise sein sollte. Als ich aufsah, bemerkte ich eine Gruppe Schwesternschülerinnen, die sich tuschelnd und gackernd hinter einer Säule versteckten. Dann tauchte eine von ihnen, nicht ganz freiwillig, weil geschubst, auf der anderen Seite der Säule vor mir auf. Sie grinste verlegen und sagte dann mit hochrotem Kopf „Hallo Wolfgang“. „Guten Morgen Aischa“ antwortete ich. Sie darauf: „Möchtest du, äh, hm, mit mir vielleicht mal, äh, ein Eis essen gehen?“ Sofort explodierte in meinem Kopf eine Handgranate. Schnellzüge fuhren über meine Hirnwindungen, vor meinen Augen leuchteten riesige rote Ampeln auf. Ein Tornado wirbelte meine Großhirnrinde durcheinander und ein Tsunami überflutete meine Innenohren. Sie war Achtzehn oder vielleicht Zwanzig. Ich war über vierzig und ihr Vorgesetzter. Missbrauch von Schutzbefohlenen §174 StGB. Sie könnte meine Tochter sein. Mir fielen gleich ihre Brüder ein. Keine Ahnung, ob sie Brüder hat. Türkische Mädchen haben immer Brüder. Das ist ein Naturgesetz. Es sind ihre Wachhunde, ein Leben lang, und sie haben lange Messer. „Hast du gegessen Pfirsich Melba mit unserer Schwester. Musst du jetzt heiraten“. Wie soll ich mich da entscheiden, mit einer Klinge an der Gurgel.
Das alles ging mir innerhalb einer Sekunde durch den Kopf. So schnelle Gedankengänge hatte ich noch nie. Ich antwortete ihr dann süßlich lächelnd (so sollte es jedenfalls aussehen): “Das ist sehr freundlich von dir, Aischa, aber das geht leider nicht.“ und ging schnell weiter. Ich hoffte, cool zu wirken, doch im Inneren bestand ich nur noch aus Panik.
https://www.youtube.com/watch?v=gzlHucbD76U